Diese Frage habe ich mir die letzten drei Jahre fast täglich gestellt. Bin ich bereit dazu, bin ich gut genug in dem, was ich tue, wird es erfolgreich sein, ist es der richtige Zeitpunkt und, und, und? Anstelle von Antworten fielen mir jeden Tag mehr Fragen ein und ich hatte das Gefühl, dass solange ich nicht die Antworten auf all diese Fragen habe, die Zeit noch nicht gekommen ist. 

Natürlich gibt es Tage, an denen man davon überzeugt ist, dass es eine gute Idee ist und am nächsten Tag ist man wieder sicher, dass es noch nicht der richtige Zeitpunkt ist.

Wenn ich ehrlich bin, stellt sich diese Frage ab dem ersten Tag des Jura-Studiums. Was will man mit dem Studium machen? Es gibt die, die ab dem ersten Tag wissen, dass sie Richter oder Staatsanwalt werden wollen. Lassen wir an dieser Stelle das Problem mit dem Prädikatsexamen mal kurz Außen vor ☺ 

Andere wissen vom ersten Tag an, dass sie in eine Großkanzlei wollen und träumen von den entsprechenden Gehältern. Dann gibt es die, die Jura studieren, weil es von ihnen erwartet wird. Nicht zu vergessen, die, die Jura studieren weil sie die Welt verbessern wollen. Und dann letztlich die, die, Jura studieren, weil sie Jura studieren wollten, ohne sich große Gedanken darüber zu machen, was am Ende des Studiums auf sie wartet. Aber gab es diejenigen, die von vorneherein gesagt haben, dass sie sich nach dem Studium selbstständig machen wollen und eine eigene Kanzlei eröffnen? Ich kann mich nur an wenige erinnern.

Ich erinnere mich daran, dass während des Praktikums im ersten Semester eine junge Anwältin einen Vortrag gehalten hat. Sie sollte uns berichten, wie es ist, sich direkt nach dem Studium selbstständig zu machen. Damals dachte ich nur: Krass! Sie hat sehr ehrlich darüber berichtet, dass es nicht leicht war und finanziell am Anfang definitiv keine Freude bringt. Ob es bei ihr eine bewusste Entscheidung für die Selbstständigkeit war oder aber ein Muss, weil ihr die Alternativen fehlten, vermag ich nicht mehr zu sagen. 

Mitgenommen habe ich aus dem Gespräch, dass ich irgendwann eine eigene Kanzlei haben möchte. Mir war bewusst, dass ich nicht mein Leben lang angestellt tätig sein möchte. Mir war aber auch klar, dass ich erst Berufserfahrung sammeln will, bevor ich in die Selbstständigkeit gehe. Ob das ein Muss ist, vermag ich auch hier nicht zu sagen. Mir hat es definitiv geholfen mehr Sicherheit zu gewinnen. Einen genauen Plan, wie lange ich angestellt sein will, bis ich etwas Eigenes mache, hatte ich nicht.

Wie das als Berufsanfänger meist so ist, habe ich mich zunächst auf alle möglichen Stellen beworben und bin froh, dass es das Insolvenzrecht geworden ist. Da denkt man, dass man im Studium gefühlt jegliche Rechtsgebiete abgehandelt hat, von der römischen Privatrechtsgeschichte über Bienenrecht zur Rechtsmedizin, aber Insolvenzrecht, Fehlanzeige. Das war der erste Sprung ins kalte Wasser und ich habe ihn definitiv nicht bereut. Ich glaube, das ist einer der wichtigen Punkte. Man muss sich in dem Gebiet, in dem man sich selbstständig macht, auch wohlfühlen, sonst finde ich das schwierig. 

Wenn man dann laut darüber nachdenkt, sich als Anwalt selbstständig zu machen, bekommt man eigentlich immer die gleichen Antworten: „ …bist du sicher, Anwälte gibt es doch wie Sand am Meer“, „…im Angestelltenverhältnis ist es doch viel sicherer…“, „ …da kommen große Kosten auf dich zu…“, „…dann hast du kaum Freizeit und musst immer arbeiten…“ und mein absoluter Favorit: „…bist du da denn überhaupt der Typ für?“

An die erste Frage ist man ja schon gewöhnt. Diese hört man ab dem ersten Tag des Studiums: „Es gibt viel zu viele Anwälte sowie viel zu viele „Feld- Wald- und Wiesenanwälte“. Total motivierend, wenn man das in der Uni hört. Auf dem Weg von der Uni nach Hause hängt an jedem zweiten Haus ein Schild mit den Worten „Rechtsanwalt oder Kanzlei“. Hier kann ich nur sagen, nicht entmutigen lassen!!!

Über alle genannten Fragen muss man sich Gedanken machen, aber ich glaube die wichtigste ist dann doch tatsächlich die, ob ich überhaupt der Typ zur Selbstständigkeit bin. Meiner Meinung nach, kann man diese Frage nur für sich selbst entscheiden. Die Menschen um einen herum können einem Einschätzungen geben, aber am Ende muss man sich diese Frage selbst beantworten. Ich hatte in meinem Umfeld Menschen, die mir gesagt haben, dass ich der Typ dafür bin. Aber es hat etwas länger gebraucht, bis ich es selbst geglaubt habe. Trotzdem bin ich diesen Menschen sehr dankbar. Und ebenso bin ich den Menschen dankbar, die es mir nicht zugetraut haben…

Was war also für mich ausschlaggebend den Schritt jetzt zu gehen? Ich war an einem Punkt, wo ich wirklich alles hinterfragt habe, selbst die Entscheidung Jurist zu werden. Aber ich vermute, an diesen Punkt kommen die meisten irgendwann einmal. Ich wusste nur, ich muss etwas verändern. Sei es eine neue Stelle als angestellte Rechtsanwältin oder aber Selbstständigkeit oder vielleicht was ganz Neues… Konditorin oder Reiseverkehrskaufrau klangen auch interessant…

Ich hab mich also hingesetzt und auf meinem gelben Lieblingspapier eine klassische Pro und Contra Liste gemacht. Wer mich kennt weiß, was ich meine ☺. Ich will hier nicht alle Punkte nennen, nur einen Auszug, die Highlights quasi:

Contra: Viel Arbeit, Risiko des Scheiterns, Kosten, Auftragslage, reicht die Erfahrung?

Pro: mehr Freiheit, Selbstbestimmt, mehr Geld, mehr Spaß am Arbeiten, neue Herausforderung 

Wie man aus der Pro-Seite entnehmen kann, stehen dort viele persönliche Gründe und die sind mir fast wichtiger. Für meine Entscheidung war ausschlaggebend, dass ich wieder Freude an der Arbeit haben möchte. Natürlich soll sich auch der persönliche Erfolg einstellen. Für mich haben die positiven Gründe überwogen und die Entscheidung stand. Selbstständigkeit: ja.

Dann hieße es nur noch wann? Hierbei bekam ich dann quasi Schützenhilfe und so habe ich zum 01.10.2019 meine eigene Kanzlei gegründet…Tolles und aufregendes Gefühl, ja… Mulmig und beängstigend, auch das… Aber das positive überwiegt definitiv und das Ganze soll ja auch eine Herausforderung sein

Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass dies kein Ratgeber ist, für den perfekten Weg in die Selbstständigkeit, sondern mein Weg. Ob das der perfekte Weg ist, mit Sicherheit nicht, so wie ich mich kenne, wird es viel learning by doing sein und ins kalte Wasser springen… Aber wenn ich eins für mich gelernt habe, dann, dass man niemals besser lernt als auf diese Art und Weise. 

Beim nächsten Mal berichte ich dann, von alldem was zu erledigen ist, nachdem ich mich für die Selbstständigkeit entschieden hatte(und ich noch ganz naiv glaubte, dass das die schwierigste Entscheidung war…)